Verden

Digitale Kompetenzwerkstatt NA.VI

Eigentlich hatte Judith sich schon abgeschrieben. Sie kam aus Simbabwe nach Deutschland, wo vieles fremd war, wie zum Beispiel die Sprache. Außerdem kämpfte sie mit gesundheitlichen Problemen. Sie fragte sich: "Habe ich mit diesen Voraussetzungen überhaupt eine Zukunft in meiner neuen Heimat?" Das Projekt „NA.VI“ der Arbeit im Landkreis Verden (ALV) konnte ihr eine Antwort geben: Ja!

Denn den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen fiel auf: Judith ist ein sehr fürsorglicher Mensch. „Sie kümmert sich immer viel um andere“, erzählt Abnus Kahrs. So kam ihr, ihren Kollegen und Kolleginnen die Idee, dass Judith mit dieser Eigenschaft in einem Altenheim am richtigen Ort sein könnte.
Aber die Frau war unsicher, da sie nur wenig Deutsch sprach. Doch das Team unterstützte sie und machte ihr Mut. Nun arbeitet Judith zweimal in der Woche in einer Einrichtung für Senioren – und wird dort sehr geschätzt. „Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen würden Judith gern noch mehr einbinden, aber dafür müssen sich ihre Sprachkenntnisse verbessern. Daran arbeiten wir jetzt“, berichtet Abnus Kahrs.

"Wir navigieren Menschen nach ihren Bedürfnissen, und das nachhaltig, virtuell und visuell"
Von diesen Erfolgsgeschichten kann das Projekt, das am 1. Oktober 2022 startete, inzwischen einige erzählen. Von 27 Frauen, die „NA.VI“ bereits durchlaufen haben, gingen 26 mit einer Anschlussperspektive. „Der Projektname soll es schon ein wenig ausdrücken: Wir navigieren Menschen nach ihren Bedürfnissen, und das nachhaltig, virtuell und visuell“, erläutert Abnus Kahrs.
Wichtig sei dabei der ganzheitliche Ansatz. „Zu uns kommen Frauen in verschiedenen Lebenslagen. Jede bringt ihr eigenes Päckchen mit. Wir wollen den Menschen und seine Geschichte erst kennenlernen, bevor wir mit der Förderung beginnen. Wir wollen wissen: Was ist bei dir los? Was beschäftigt dich?“

Es sei vergebene Mühe, jemanden auf den Eintritt ins Berufsleben vorbereiten zu wollen, wenn dieser noch mit einem Trauma zu kämpfen habe und mit den Gedanken ganz woanders sei. Erst wenn man wisse, welche Bedürfnisse die Frauen haben, könne man sie zur nächsten Station auf ihrem Weg begleiten.
Diese Station kann alles Mögliche sein: Der Eintritt in einen Kurs, um die deutsche Sprache noch besser zu lernen oder seinen Schulabschluss nachzuholen. Bestenfalls ein Platz auf dem Arbeitsmarkt.

"NA.Vi" ist meistens der erste richtige Kontakt zu Außenwelt
Die Frauen, die an „NA.VI“ teilnehmen, werden entweder vom Job-Center vorgeschlagen oder vom Team Migration, das sich mit der Vermittlung von Beziehenden der Leistungen nach AsylbLG beschäftigt. Sie sind zwischen 18 und 65 Jahre alt und stammen aus verschiedenen Ländern wie Madagaskar, Armenien, dem Iran oder Tschetschenien.
Doch sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind noch nicht richtig in Deutschland angekommen, bleiben häufig den ganzen Tag über zuhause und kümmern sich um die Kinder und den Haushalt.
„NA.VI“ ist für die meisten der erste richtige Kontakt mit der Außenwelt in Deutschland. Das Projekt soll den Frauen neue Wege öffnen und dabei helfen, selbstständiger zu werden“, so Abnus Kahrs.

Von montags bis freitags sind die Frauen in den Räumen der ALV willkommen. „Wir versuchen, dass sie mindestens viermal pro Woche für etwa 25 Stunden bei uns sind, wobei wir auch flexibel auf die Situation der jeweiligen Frauen reagieren.“
Wenn die Teilnehmerinnen eintreffen, kommen erstmal alle zu einer lockeren Begrüßungsrunde zusammen. „Wie geht es dir?“, ist die Frage, die als erstes geklärt wird. Anschließend gehen die Frauen in einen der vier Bereiche, den sie selbst ausgewählt haben. Sie können kreativ sein, beispielsweise Nähen oder etwas Malen. „Für viele ist es das erste Mal, dass sie etwas ganz allein für sich tun – und dafür Anerkennung bekommen“, sagt Abnus Kahrs.

Oder sie besuchen das Sprach-Mentoring, das nicht mit richtigem Unterricht zu vergleichen ist. „Es geht um den Spracherwerb in einem lockeren Rahmen. Wir sprechen beispielsweise über Märchen aus verschiedenen Ländern und tauschen uns über Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus. So werden die Frauen dazu animiert die deutsche Sprache auch anzuwenden. Die Frauen helfen sich dabei oft gegenseitig und verlieren so die Angst vor der Sprache.“

Von der digitalen Kompetenzwerkstatt bis hin zum Waldspaziergang

Ein weiterer Bereich ist die digitale Kompetenzwerkstatt, wo Basis-Wissen vermittelt wird: Wie google ich? Wie lade ich eine PDF herunter? Wie gehe ich generell mit einem Computer um? Außerdem kann gemeinsam der Lebenslauf erstellt werden, der für einen Praktikumsplatz oder eine Arbeit von großer Relevanz ist.
Zudem gibt es die Möglichkeit, an einem Bewegungstraining teilzunehmen. Dabei stehen Yoga oder Spaziergänge in den Wald auf dem Programm. „Für die meisten Frauen ist es nicht selbstverständlich Sport zu treiben. Durch unsere sportlichen Angebote geben wir ihnen die Chance, dass eigene Körpergefühl zu stärken und Spaß an der Bewegung zu entwickeln.“

Nebenbei wird auch immer ein Job-Coaching für die Teilnehmerinnen angeboten. Möchte eine von ihnen sich beispielsweise um einen Arbeitsplatz bewerben, erhält sie fachliche Unterstützung. „Aber der Job-Coach beobachtet die Frauen auch. Wenn ihm auffällt, dass eine Teilnehmerin in einem Bereich besonderes Talent zeigt, spricht er sie darauf an und erarbeitet mit der Teilnehmerin eine berufliche Perspektive.“

"Ein tolles Miteinander!"
Was Abnus Kahrs und ihr Team besonders stolz macht, ist das Miteinander ihrer aktuell 18 Frauen. „Wir haben 11 Nationen bei uns und komplett verschiedene Kulturen. Aber die Gruppe arbeitet toll zusammen. Jede wird so genommen, wie sie ist. Wir haben sehr gläubige Frauen und welche, die eine eher lockere Einstellung zur Religion haben, eine kommt mit einem Kopftuch, die andere in Hotpants. Trotzdem funktioniert es gut. Wir zeigen ihnen, dass es egal ist, woher sie kommen, denn sie sind alle auf dem gleichen Weg.  Das ist es, was Deutschland ausmacht.“
Damit sie sich besser im Alltag zurechtfinden, lernen die Frauen noch weitere Dinge über ihre neue Heimat. Zum Beispiel, wie das deutsche System funktioniert oder wo es Kinderbetreuung gibt. „Aber wir lernen auch sehr viel von den Frauen und ihren verschiedenen Kulturen kennen “, sagt Abnus Kahrs.

Einen festen Zeitpunkt, wann die Teilnehmerinnen das Projekt verlassen müssen, gibt es nicht. „Die Dauer der Projektteilnahme beträgt sechs bis 18 Monate. Sobald eine von ihnen uns verlässt – in einen neuen Kurs oder zu einer Arbeitsstelle, melden wir, dass ein Platz freigeworden ist. Das Job-Center und das Team Migration kann uns über die Teilnehmermeldeliste passende Frauen direkt einsteuern oder uns neue Teilnehmerinnen für ein Info-Gespräch terminieren. Dabei kann die Frau herausfinden, ob das Projekt das Richtige für sie ist. Aber die meisten, die erst einmal den Weg zu uns finden, bleiben in der Regel auch gerne.“

„NA.VI“ ist für zwei Jahre angelegt. Doch das gesamte Team hofft, dass es danach noch weitergeht, denn das Projekt bereichere sowohl das Leben der Teilnehmerinnen als auch das der Mitarbeitenden. „Es ist immer wieder ein schönes Gefühl zu sehen, wie viel man bewirken kann.“

Stimmen der Teilnehmerinnen
Und was sagen Frauen, die an dem Projekt teilgenommen haben? Angela kommt aus der Ukraine und lebt seit fünf Jahren in Deutschland. Sie lobt bei "NA.VI" besonders die große Freundlichkeit und Unterstützung, die sie durch die Betreuerinnen erfährt. "Ich habe schon sehr gut Deutsch gelernt", verkündet sie strahlend.  "Ich kann nun selbst einen Termin beim Arzt machen." Besonders gefällt ihr an dem Projekt, dass sie jeden Tag etwas Neues lernen kann, wie zum Beispiel Fahrradfahren.

Aida aus dem Libanon ist seit acht Jahren in Deutschland und möchte unbedingt die deusche Sprache lernen. Auf die Frage, was ihr am besten an "NA.VI" gefällt, hat sie eine klare Antwort: "Alles! Vor allem, dass wir hier Frauen aus ganz verschiedenen Kulturkreisen haben."

Zu denen gehört auch Marie, die vor sieben Jahren aus Italien gekommen ist. Sie ging in das Projekt, weil sie unbedingt eine Ausbildung machen wollte. Doch welcher Beruf passt zu ihr? Und was muss sie tun, um ihr Ziel zu erreichen? Bei diesen Fragen haben ihr die Betreuerinnen weitergeholfen. "Nun bin ich auf einem guten Weg", verrät sie sichtlich stolz.
Marie fühlt sich wohl bei "NA.VI". Sie liebt es, zu organisieren, ihre Kreativität auszuleben und hilft beispielsweise, das gemeinsame Frühstück vorzubereiten. "Das Projekt hat mich dazu angeregt, viele Sachen auszuprobieren."
Der Anfang in Deutschland sei schwer gewesen: Die Sprache, die vielen amtlichen Briefe, die sie nicht entschlüsseln konnte. Bei "NA.VI" sei immer jemand da, der ihr zur Seite steht.

Die Spache lernen und Kontakt zu Menschen. Diese beiden Punkte haben Parwane aus Afghanistan, die seit zwei Jahren in Deutschland lebt, in das Projekt gebracht. Doch sie hat soviel mehr bekommen. "Ich habe Malen gelernt und viele Freunde gefunden. Außerdem haben ich andere Kulturen kennengelernt."
Eine besondere Begabung von ihr ist jedoch das Nähen. Hinter ihr, auf der Fensterbank, sind mehrere Taschen aufgereiht, die sie kunstvoll bestickt hat und die auch im Laden eines Geschäfts stehen könnten.
Jede der vier Teilnehmerin würde das Projekt "NA.VI" anderen Frauen von Herzen weiterempfehlen.

In aller Kürze:
"NA.VI" startete 2022 und ist auf zwei Jahre angelegt.
Projektträger ist die Arbeit im Landkreis Verden (ALV).
Teilnehmerinnen sind mindestens viermal pro Woche vor Ort.

Kontakt
Möchten Sie mehr wissen? Weitere Informationen finden Sie auf der Website von Arbeit im Landkreis Verden

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